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Erich Honecker das Interview 1991  in Moskau

Erich Honeckers langes Ende beginnt nach seiner Entmachtung im Oktober 1989, als ihm seine Wohnung in der Politbürosiedlung Wandlitz gekündigt wird. Es folgt eine mehr als dreijährige Odyssee.

Honecker war damals bereits ein todkranker Mann. In der "Charité" musste er im November 1989 eine Nierenoperation über sich ergehen lassen. Zwei Monate später, am 29. Januar 1990, wurde er - kaum genesen - von der Volkspolizei verhaftet und in die Haftanstalt Berlin-Rummelsburg gebracht. Staatsanwälte wollten ihn wegen des Chaos im Land zur Verantwortung ziehen. Der Vorwurf lautete: Hochverrat. Honecker entgegnete, dass er treu dem Sozialismus gedient und immer im Einklang mit der Verfassung der DDR gehandelt habe. Da die Beweislast gegen ihn zu dünn war, wurde er am nächsten Tag wieder auf freien Fuß gesetzt. Aber Honecker wusste nicht wohin, denn er war quasi obdachlos.

Zwar hatte die Regierung Modrow dem Ehepaar Honecker eine Erdgeschosswohnung in Berlin-Friedrichshain zugewiesen, doch Erich Honecker hatte Angst vor Übergriffen und lehnte die Wohnung ab. Lothar de Maizière, stellvertretender Ministerpräsident der DDR, suchte nach einer Alternative und fragte bei Pfarrer Holmer in Lobetal bei Berlin an, ob er die Honeckers aufnehmen würde. Und der Kirchenmann erklärte sich tatsächlich dazu bereit. "Das ist für mich eine der größten Leistungen, die damals passiert sind", erinnert sich de Maizière. "Ein Mann, der acht Kinder hatte und sechs von ihnen war die Oberschule verwehrt worden. Und der öffnet sein Haus und nimmt dieses Ehepaar bei sich auf ..." Doch es gibt viele Proteste gegen Honeckers Kirchenasyl, vorm Haus des Pfarrers riefen Demonstranten: "Keine Gnade für Honecker!"

"Honecker war ein alter kranker Mann und wurde von der Straße zum Popanz erhoben, der allein an allem Schuld gewesen sein soll", erinnerte sich der damalige Innenminister Peter-Michael Diestel. Aber selbst er kann die Sicherheit der Honeckers nicht mehr garantieren. Im März 1990 wendete sich Honecker deshalb an das Oberkommando der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. "Er fragte mich, ob ich ihn in ein Krankenhaus sperren könnte", erinnert sich General Snektow. "Natürlich tun wir das, sagte ich ihm, wir schaffen dich nach Beelitz und machen dich gesund. Und ich garantiere für deine Sicherheit."

In Beelitz am Rande Berlins befand sich das zentrale Lazarett der sowjetischen Streitkräfte. Honecker wurde medizinisch betreut und war in dem streng bewachten Areal sicher vor Übergriffen. Hier, in Beelitz, erreichte ihn am 30. November 1990 erneut ein Haftbefehl – wegen der Todesschüsse an der Mauer.

Flucht nach Moskau

Doch Honecker konnte sich nicht vorstellen, dass bundesdeutsche Gerichte ihn wie einen gewöhnlichen Verbrecher vor Gericht stellen würden. Schließlich, so argumentierte er, war die DDR ein in der Welt anerkannter Staat. 

Im März 1991 wurde er aber vorsichtshalber vom russischen Militärflughafen Sperenberg gemeinsam mit seiner Frau Margot nach Moskau ausgeflogen. Die Bundesregierung, obwohl informiert, schritt nicht ein. Man wollte wegen Honecker nicht den Vertrag über den Abzug der Roten Armee aus Deutschland gefährden. 

Honecker wurde sofort in ein Krankenhaus der Roten Armee eingeliefert. Die Ärzte diagnostizierten "eine schwere onkologische Krankheit". Nach drei Wochen hatte sich Honecker wieder einigermaßen erholt. Er wurde in einer Regierungsdatscha am Rand von Moskau einquartiert und wie ein Staatsgast umsorgt. Im Sommer 1991 aber verlor Honecker viele seiner einflussreichen Freunde im Kreml. Der neue starke Mann hieß jetzt Boris Jelzin, und der wollte Honecker schleunigst loswerden. Honecker schrieb einen verzweifelten Brief an Gorbatschow. Doch der, nominell noch Präsident, antwortete nicht. Stattdessen verfügte das russische Innenministerium Honeckers Ausweisung aus Russland bis zum 13. Dezember 1991. In seiner Not flüchtete er in die chilenische Botschaft – in Chile war man Honecker noch immer dankbar, dass er nach dem Putsch Pinochets gegen den sozialistischen Präsidenten Allende 1973 tausenden Chilenen Asyl in der DDR gewährt hatte. Erich Honecker, der einst mächtige Staatsratsvorsitzende, war jetzt der letzte Botschaftsflüchtling der DDR.

Auslieferung an Deutschland

Margot und Erich Honecker lebten in einem kleinen Zimmer, in der Ecke lagen ihre Koffer mit Tischdeckchen darauf. Die beiden hofften, von Moskau direkt in das südamerikanische Land ausreisen zu können. Aber das lehnte die deutsche Regierung ab. Bei einem Besuch in Chile sprachen Bundeskanzler Kohl und Chiles Präsident Aylwin auch über den berühmten Botschaftsflüchtling. "Jeder beharrte auf seiner Einstellung", erinnert sich Aylwin. "Er vertrat das deutsche Recht auf Auslieferung und ich verteidigte das Asylrecht." Schließlich handelten Deutschland, Russland und Chile eine auch für Honecker befriedigende Lösung aus: Sollte sich herausstellen, dass sein Gesundheitszustand einen Prozess nicht zulassen würde, käme er umgehend frei und könnte in Chile Asyl beantragen. 

Am 29. Juli 1992 verließ Honecker mit einer Sondermaschine die russische Hauptstadt. Bei seiner Ankunft in Berlin wurden ihm Handschellen angelegt: Er kam in die JVA Berlin-Moabit.

"Tun Sie, was Sie nicht lassen können"

Am 12. November 1992 wurde vor der 27. Strafkammer des Landgerichts Berlin der Prozess gegen Honecker eröffnet. Ihm wurden Totschlag und versuchter Totschlag in 68 Fällen zur Last gelegt. Mitangeklagt waren Willy Stoph, Erich Mielke, Heinz Kessler und Fritz Streletz. Wenig später wurde bei Honecker ein rasant wuchernder Leberkrebs diagnostiziert. Es schien fraglich, ob er das Ende des Prozesses überhaupt erleben wird. 

Am 3. Dezember 1992 erhielt der Hauptangeklagte das Wort. Honecker nahm alle ihm verbliebenen Kräfte zusammen und hielt die wohl bedeutendste Rede seines Lebens. "Meine Situation ist nicht ungewöhnlich. Der deutsche Rechtsstaat hat schon Karl Marx, August Bebel und viele andere Sozialisten und Kommunisten verurteilt." Am Ende seiner siebzigminütigen Ausführungen sagte er, zum Richter gewandt: "Resümiert man den politischen Gehalt dieses Prozesses, so stellt er sich als Fortsetzung des Kalten Krieges dar. Ich bin am Ende meiner Erklärung. Tun Sie, was Sie nicht lassen können."

In den folgenden Verhandlungstagen wurden ausschließlich medizinische Gutachter gehört. Es ging nur noch um die Frage, ob Honecker tatsächlich Krebs hat oder nur einen "Fuchsbandwurm", ob er überhaupt verhandlungsfähig und wann mit seinem Ableben zu rechnen ist. "Es war unwürdig", befand Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des "Spiegel".

Unsere schönen Erinnerungen an die DDR

Ende Dezember 1992 legten Honeckers Anwälte beim Berliner Verfassungsgericht Beschwerde gegen die Weiterführung des Prozesses ein und hatten Erfolg: Am 12. Januar 1993 beschloss das Verfassungsgericht die Einstellung des Verfahrens. Honecker war ein freier Mann und durfte nach Chile ausreisen. Am 13. Januar 1993 wurde er zum Flughafen Berlin-Tegel gebracht und verließ Deutschland für immer.

In Santiago empfing ihn seine Frau Margot. Seit seiner Abschiebung aus Moskau hatten sie sich nicht mehr gesehen. Auf einem kleinen Empfang chilenischer Kommunisten hielt Honecker später seine letzte Rede: "Sozialismus ist das Gegenteil von dem, was wir jetzt in Deutschland haben. So dass ich sagen möchte, dass unsere schönen Erinnerungen an die DDR viel aussagen von dem Entwurf einer neuen, gerechten Gesellschaft. Und dieser Sache wollen wir für immer treu bleiben."

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